Komplex, hochkomplex, Städtebaulicher Vertrag

Bausenator und GEG informierten am 14. Juni 2017 über die geplanten Inhalte des Städtebaulichen Vertrages – Ein Bericht von Carsten Werner. Fotos: Christina Kuhaupt.

„Langer Atem, Geduld und manchmal auch ein wenig Gelassenheit gehören offenkundig zu den Grunddisziplinen, die es in der Bürgerbeteiligung zum Neuen Hulsberg-Viertel braucht.“ – so begann der letzte Blog-Bericht auf dieser Seite vom 28. Oktober 2016 … und zu diesem Zeitpunkt  war das vorangegangene letzte Bürgerforum zum Thema Mobilität auch schon gut anderthalb Jahre her. Dazwischen: Wahlen zum Bremer Stadt- und Landesparlament und neuen Stadtteilbeiräten; die Bearbeitung der Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung in der Baubehörde; die Bearbeitung, Auslegung und Abwägung des Bebauungsplanes 2450 zum Neuen Hulsberg-Viertel; und auch die Verzögerungen beim Neubau des Klinikums, das sich nach wie vor auf dem Gelände befindet, für das viele längst neue Nachbarschaften in einem neuen Wohnquartier planen und visionieren.

Langer Atem, Geduld und Gelassenheit
Und genauso beginnt dieser Bericht von der Informationsveranstaltung zum Städtebaulichen Vertrag am 14. Juni 2017: „Langer Atem, Geduld und manchmal auch ein wenig Gelassenheit“ gehören zu den inzwischen trainierten Grunddisziplinen interessierter und engagierter Teilnehmer am Entwicklungsprozess für das Neue Hulsberg-Viertel – daran erinnerte zunächst Klaus Selle, der den Beteiligungsprozess ebenso wie Moderator Otmar Willi Weber von Anfang an begleitet. Während Weber seine Prophezeiung von 2011 revidieren musste, noch vor seinem Renteneintritt werde er den Baubeginn auf dem dann ehemaligen Klinikgelände erleben, erinnerte Selle noch einmal eindrücklich daran, „was seitdem geschah“: Wie viele der in intensiver Bürgerarbeit entwickelten Ideen und Ansprüche letztendlich in nun konkret werdende Planung eingeflossen sind, wie viel Arbeit dazu auch „hinter den Kulissen“ und abseits der öffentlichen Wahrnehmung in den beteiligten Behörden stattfindet und wie normal und fast „natürlich“ Veränderungen im Lauf der Zeit sind: Erneute Verzögerungen beim Neubau des Klinikums ebenso wie der in den vergangenen Jahren gewachsene Druck auf dem Wohnungsmarkt – die beide der Qualität der Entwicklung und ihres Ergebnisses gar nicht abträglich sein müssen. Der tatsächliche Bedarf an Sozialwohnungen und weiteren gemeinwohlorientierten Bau- und Wohnformen ist in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung parallel zum Beteiligungsprozess erst wirklich deutlich und allgemein anerkannt worden. Schließlich ergab eine Kurzumfrage, dass wieder einige der Anwesenden erstmals in eine Veranstaltung zum Neuen Hulsberg-Viertel gekommen waren.

Bundesweit vorbildlich – das ist auch zum Anspruch geworden
Selle lobt den Bremer Prozess als bundesweit vorbildlich: „Tatsächlich kenne ich keinen Planungsprozess zur Quartiersentwicklung, der so weitreichend auf Anregungen aus der Öffentlichkeit einging – und in dem das so intensiv zurückgemeldet wurde.“ Gleichzeitig mahnte der erfahrene Stadtplaner an, gerade in Phasen, in denen die Bürgerbeteiligung konkret ruht, weiterhin (und von nun an dringend wieder mehr) über Fortgang und auch Verzögerungen des Projektes transparent und regelmäßig zu informieren.

In der Bauleitplanung ist mit dem Aufstellen, Beschließen, Auslegen, Kommentieren und der abschließenden Fassung des Bebauungsplans „ein gesetzlich geregelter Prozess“ vorgeschrieben, der jetzt bald zu seinem Ende kommt – nicht mit weiteren Diskussionsangeboten, sondern schlussendlich mit einem rechtsverbindlichen Bebauungsplan, an den sich künftige Bauherren – ob Bauträger oder Baugemeinschaft– halten müssen und  an dem sie sich orientieren können.  Und darüber hinaus: „Was darin nicht logisch und automatisch geregelt wird und werden kann, das kommt in einen städtebaulichen Vertrag.“ Darin vereinbaren die Vertragspartner Stadt Bremen, GeNo und GEG (für die künftigen Bauherren) Regelungen zur Förderung und Sicherung der mit der Bauleitplanung verfolgten Ziele.

Präsentation von Klaus Selle

Beteiligung ist kein Entscheidungsrecht
In diesem Stadium wird noch einmal besonders deutlich: Öffentlichkeitsbeteiligung heißt nicht Bürger-Entscheidung, sondern beinhaltet das Recht auf Informationen – und die Möglichkeit, Anregungen in die Planung einzubringen, die von den Behördern be- und verarbeitet, abgewogen, schließlich von den politischen Gremien beschlossen und dann verbindlich vertraglich vereinbart werden. Wie dieses Stadium öffentlich begleitet wird, „ist überall unklar“, bekennt Klaus Selle – und regt an, dass Bremen und insbesondere die GEG für das Hulsberg-Viertel in seiner Vorreiterrolle auch hier Wege und Modelle erprobt, wie zu dem nicht originär öffentlichen Prozess dennoch offene Informationen und Diskurse ermöglicht werden können.

Auch Bausenator Joachim Lohse (Grüne) stellte in seinem Statement zunächst heraus, wie vielfältig und grundsätzlich Ideen und Anregungen aus der Bürgerbeteiligung in die Bauleitplanung eingegangen sind und sich auch im städtebaulichen Vertrag wiederfinden sollen. In Senat und Bürgerschaft seien die erarbeiteten Grundlagen inzwischen weithin akzeptiert – das sei ein großer Erfolg der kollektiven Arbeit. Lohse beschrieb dazu den „erheblichen Einigungs- und Moderationsbedarf“, der parallel zur im Beteiligungsprozess erlebten Ebene Bürger – Staat – Wirtschaft auch innerhalb der politischen Parteien, innerhalb des Senats und zwischen den Fraktionen des Parlaments zu berücksichtigen sei.

Der städtebauliche Vertrag sichert Ergebnisse der Bürgerbeteiligung
Die Frage von Moderator Otmar Willi Weber, ob der Bebauungsplan auch ohne städtebaulichen Vertrag umgesetzt oder der städtebauliche Vertrag ohne einen beschlossenen Bebauungsplan geschlossen werden könne, beantwortete GEG-Geschäftsführer Florian Kommer glasklar: „1. Nein. Und 2. Nein.“ Lohse und der baupolitische Sprecher der Grünen, Robert Bücking, bestätigten das. Denn klar ist: Jeder Grundstücks- und Gebäudekäufer braucht Klarheit und Sicherheit über die Anforderungen und Einschränkungen, die mit seinem Erwerb verbunden werden.

„Warum dauert das so lange und wann wird der Bebauungsplan denn nun Rechtskraft erlangen?“ wollte Otmar Willi Weber von Bausenator Lohse und seiner Mitarbeiterin, Stadtplanerin Marion Skerra, wissen. Ein hochkomplexer Bebauungsplan rufe auch komplexe Stellungnahmen hervor, so die Antwort. Die Bearbeitung der umfassenden Einwendungen, deren Themen sehr vielfältig und zum überwiegenden Teil aus den Beteiligungsformaten gut bekannt sind, erfordere Zeit. Zudem gäbe es anders als bei sonstigen Plänen viele Schnittstellen zum Städtebaulichen Vertrag, die für die Entscheidungsträger vorbereitet und entschieden werden müssten.

Reinhard Viering, Leiter der Bauordnung beim Senator für Bau, Umwelt und Verkehr, stellte klar: Der städtebauliche Vertrag ist Voraussetzung für Vorlage und Beschluss des Bebauungsplans in der Baudeputation und der Bürgerschaft – und damit auch für den angestrebten Verkauf der Grundstücke. Er vermittelte einen Überblick auf die Regelungen und Themen, die in dem städtebaulichen Vertrag konkret vereinbart werden sollen – wobei er klar machte, dass die Behörde hier die Vorgaben des Parlaments (und der Bürgerbeteiligung) gegenüber dem Grundstücksverkäufer Gesundheit Nord und dessen ökonomischen Interessen vertritt; die GEG befindet sich als Ausrichter des Beteiligungsprozesses, Zwischenerwerber  und schließlich Weiterverkäufer der Grundstücke „schizophren dazwischen“, bekannte Geschäftsführer Florian Kommer – ihre besondere Aufgabe besteht also auch im Interessenausgleich zwischen baulicher Qualität und ökonomischen Möglichkeiten.

Wichtige Themen im städtebaulichen Vertrag werden sein:

  • die Ausstattung des Quartiers mit Grundschul-  und Kindertagesplätzen
  • der sozial geförderte Wohnungsbau und Baugemeinschaften
  • die Grünanlagen und Bäume
  • Architektur- und Freiraumqualitäten
  • ein Mobilitätskonzept
  • die Bewirtschaftung der Gemeinschaftsanlagen
  • Erschließung, Entsorgung und Entwässerung
  • Kriterien für die Grundstücksvergabe
  • Klimaschutz

Details zu den angestrebten konkreten Vertragsinhalten finden sich in der Präsentation von Herrn Viering:

Präsentation_Vertragsinfo_von Reinhard Viering

Die erste Fassung des Bebauungsplans finden Sie unter diesem Link: http://www.bauleitplan.bremen.de/bplan/bp_02450.pdf

Quartiersverein soll Gemeinschaftsaufgaben sichern
Für die Umsetzung der anspruchsvollen Ergebnisse der Bürgerbeteiligung zum Mobilitätskonzept, zur Pflege und Bewirtschaftung der Grün- und Gemeinschaftsanlagen und öffentlicher Räume regt der Bausenator die Gründung eines Quartiersvereins an, zu dessen Finanzierung die Eigentümer von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen vertraglich verpflichtet werden.  Aus dem Publikum wurde angeregt, diesen Quartiersverein auch mit einem Kulturkonzept und Kooperationsangeboten der Besitzer, Bewohner und Nutzer zu betrauen. Klaus Selle schlägt dazu einen zusätzlichen Nachbarschaftsverein vor.

 

Vergabe auch nach Konzept
Es wird eine Sozialwohnungsquote von 30% der zu errichtenden Wohnungen angestrebt, mit deren Realisierung bei Baubeginn ebenfalls begonnen werden muss. Weitere 20% der entstehenden Wohneinheiten können durch Baugemeinschaften und –genossenschaften realisiert werden; diese werden nicht auf die Sozialwohnungen angerechnet, wenn sie nicht explizit Sozialwohnungen errichten.
Der Preis der Grundstücke und Gebäude, die die GEG verkauft, wird zu 10-50% vom Bau- und Nutzungkonzept abhängig sein; bei Baugemeinschaften zu 100%.

Und was kommt jetzt?
In seinem Schlussstatement beschrieb der Sprecher des Beirats Östliche Vorstadt, Steffen Eilers (Grüne) seine im Beteiligungsprozess immer wiederkehrende Sorge über „all die Versprechungen und Verheißungen und die harte Herausforderung, ob man das auch am Ende alles liefern kann“ und betonte die Erfolge: „30% Sozialwohnungen plus 20% für Baugemeinschaften – jede 2. Wohnung wäre damit nach sozialen Kriterien entstanden, das Mobilitätskonzept kann beispielgebend sein und das Bettenhaus hat eine realistische Chance!“ Abschließend appellierte Eilers, „jetzt wieder den Blick von und nach außen“ wahrzunehmen, denn „der neue Stadtteil muss zu den umliegenden Stadtteilen passen“ – deshalb müsse bei weiteren Beteiligungsschritten auch die gesamte Stadtgesellschaft wieder einbezogen werden.

Der baupolitische Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Robert Bücking, betonte die große Einigkeit mit der SPD in der Bürgerschaft über das Projekt und seine Zuversicht für eine politische Bestätigung der erreichten Ergebnisse – und schloss mit dem Appell: „Und jetzt: Bildet Baugemeinschaften!

Bausenator Joachim Lohse sieht „schon sehr viel erreicht“ und betonte: „Die unterschiedlichen Sichtweisen sind keine der politischen Parteien – der Sprecher der Baudeputation (Jürgen Pohlmann, SPD) ist eine gute Seele! – sondern verschiedene Perspektiven zwischen den Zuständigkeiten für Bau, Finanzen, Gesundheit, zwischen künftigen Bewohnern, jetzigen und künftigen Besitzern.“

Das Schlusswort von Klaus Selle: „Fast alles wird gut. Aber nicht alles. Sehr vieles ist schon erreicht. Alles hat eine Dynamik.“ Selle rät, zu bedenken und zu beachten, „dass Pausen einem selbst gut tun – während andere an der Sache weiterarbeiten“ – kurz: Langer Atem und Gelassenheit werden neben Interesse, Engagement, Transparenz und Ideen auch weiterhin dringend gebraucht.

Dass dazu weiter Bedarf und Gelegenheit bestehen, machte Senatsbaudirektorin Prof. Dr. Iris Reuther deutlich: Sie kündigte eine neue Beteiligungsrunde für das Programm und die Gestaltung der öffentlichen Räume und der „Grünen Mitte“ des Quartiers mit einem transparenten Qualifizierungsverfahren an.

Carsten Werner